Glaubt man der zeitgenössischen Berichterstattung, so litt der Pratergastwirt während des Ersten Weltkrieges an einer massiven Persönlichkeitsspaltung. Es handelt sich nämlich um einen Preistreiber-Wohltäter, der selbst aus der Einquartierung finanziellen Nutzen schlägt, täglich hunderte Soldaten ausspeist, abends Konzerte zugunsten des Witwen- und Waisenfonds beherbergt, ein Kriegsküchenvorbild sondergleichen, das ungustiösen Schweinsbraten sowie mehr Schaum als Bier serviert und schließlich wie der Besitzer des Etablissement Praterspatzen wegen schlechter Geschäfte Selbstmord begeht.
So zahlreich die Preistreiberei-Prozesse auch waren, nur selten und meist in Nebenanklagepunkten resultierten sie in tatsächlichen Verurteilungen. Das Café Austria, so lautete einer der Richtersprüche, sei eben ein Konzertlokal. Wer seine Schokolade zu vernünftigen Preisen genießen möchte, müsse eben ab neunzehn Uhr zum Nachbarwirten gehen. Das Kalbsgulasch beim Schwarzen Bären sei ganz und gar nicht überteuert, überhaupt, da es sich um einen Saisonbetrieb handle, stellte man auch bei der zweiten Anklage fest. Der üble Geruch des Schweinsbratens bei der Schönen Schäferin muss noch lange nicht heißen, dass die Speise tatsächlich verdorben war. Doch für die Weigerung, ein alternatives Gericht zu servieren, verhängte das Bezirksgericht eine Strafe von 30 Kronen wegen Verweigerung eines wichtigen Bedarfsartikels, und das obwohl auch dieser Kunde einfach zum Nachbarn hätte gehen können. Etwas seltsam mutet das Urteil im Schaumbierprozess des Schweizerhauses an. Angeblich wurden die Gläser nur etwas über die Hälfte mit Bier und ansonsten mit künstlichem Schaum befüllt und das zu einem Preis, der etwas höher war als angeschlagen. Bei der Verhandlung hagelte es zwar harte Worte, denn eine sonntägliche Revision des Marktamtes bestätigte die geringe Füllmenge und ein Sachverständigenurteil unterstellte rationelle Manipulation sowie einen Übergewinn von 400 Kronen, doch war anscheinend nur der große Andrang an allem schuld. Die Österreichische Volks-Zeitung druckte die richtigstellenden Worte des Besitzers, der zu 40 Kronen Strafe wegen Amtsehrenbeleidigung der Marktamtsorgane verurteilt wurde und zu weiteren 100 Kronen aufgrund des Verkaufs von beschlagnahmtem Kukuruz, von dem in den Medien ursprünglich nicht einmal die Rede war.
In zweiter Instanz schuldig gesprochen und zur Zahlung von saftigen 2.000 Kronen verpflichtet wurde dafür das so genannte Dritte Kaffeehaus. Hielt das Bezirksgericht einen Gewinn von mehr als 300 Prozent bei einer Salami noch für gerechtfertigt, da es sich bei dem Lokal ja um einen Luxusbetrieb handle, konnte der Appellsenat diese Meinung nicht mehr vertreten. Selbige Restauration war darüber hinaus noch in einen wesentlich diffizileren Rechtsstreit verwickelt. Die Budapester Orpheumgesellschaft klagte auf die stolze Summe von 24.000 Kronen Schadenersatz. Zwischen den beiden Kontrahenten bestand ein Vertrag auf zehn Jahre, der den Künstlern nicht nur die Nutzung von Räumlichkeiten für ihre Aufführungen erlaubte, sondern auch ein tägliches Aufgeld wegen gesteigerter Gewinne beinhaltete. Nun hatte sich der Kaffeehausbesitzer allerdings nicht gerade zu seinem finanziellen Nachteil um die Einquartierung von Soldaten in seinem Restaurationsbetrieb bemüht, weshalb dieser 1916 als Sommerlokal für das Budapester Ensemble ausfallen musste. Die Orpheumgesellschaft forderte nun die nicht einkalkulierten Mietkosten sowie die verminderten Einnahmen, die laut Kaffeehausbetreiber allerdings durch den Ausfall der Stars der Truppe zustande kamen. Der Prozess war gespickt mit gegenseitigen Spitzen, juristische Spitzfindigkeiten wurden hin- und hergespielt. Zu sehen war die Gesellschaft in diesem Jahr jedenfalls in den Praterspatzen, wo nicht nur Herberg suchende Künstler, sondern in weiterer Folge auch galizische Flüchtlingskinder Unterkunft fanden.
Ob sich wer wie, wodurch und woran in den Kriegswirren bereichern konnte, bleibt unklar. Die Großzügigkeit nahm ob der herrschenden Not jedenfalls ab. Bewirteten noch anlässlich der Prater-Gedenkfeier 1916 acht Restaurateure unentgeltlich tausend verwundete Soldaten, so reichten die (Ersatz-)Lebensmittel 1918 nicht einmal mehr für den normalen Mittags- und Abendtisch. Dies führte einerseits dazu, dass Betriebe wie etwa das Gasthaus Konstantinhügel sich um die Einrichtung von staatlich belieferten Erwerbsküchen bewarben, die gegen vorherige Abgabe von Lebensmittelmarken für eine Gemeinschaft auskochten, und ließ die Behörden andererseits klein beigeben bezüglich der Beibehaltung des normalen Restaurationsbetriebes am Abend. Denn Kriegsküchen waren dringend nötig und die Infrastruktur ansonsten nicht gegeben. Die Pratergastwirte vollführten noch im letzten Kriegsjahr einen Spagat zwischen Bedarfsdeckung für die breite Bevölkerung und gewinnorientierter Gastronomie, den sie sich gezwungenermaßen seit 1914 antrainiert hatten. Selbst das verbliebene Abendgeschäft verlief nicht ohne Einschränkungen. Neben streng geregelten Sperrstunden musste auf Anordnung von oben die Innenbeleuchtung reduziert werden: Licht sparen, der Kaiser ist gestorben.
Literaturverzeichnis
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