Wonne der Wehmut: Warum die Firmwoche den Wiener_innen auf den Magen schlug

„Die Firmung war ein echt wienerisches Mixtum compositum aus Lebkuchen, Blumen, neuen Anzügen, gebrannten Haaren, aus Calafatti, Rutschbahn, Eisvogel, aus höchster Seligkeit und tiefster Magenverstimmung.“ (Neue Freie Presse, 26.05.1918) Letzteres war das Einzige, was der Krieg den Firmlingen und ihren Pat_innen übrig ließ.

Wurde nicht gar an Göd und Godel selbst gespart, so stöhnten diese unter den inflationsbedingt schmerzhaften Ausgaben. „Man [war] zwar auch außerhalb der Firmzeit das ganze Jahr hindurch gewöhnt, mit blauen Zehnern splendid um sich zu werfen, aber der Effekt [war] nicht mehr derselbe.“ (Neue Freie Presse, 26.05.1918) Beliefen sich die durchschnittlichen Firmkosten für Pat_innen, die sich nicht lumpen lassen wollten, 1914 noch auf 199,70 Kronen, war 1918 bereits mit 1026 Kronen zu rechnen. Wem bei solchen Ausgaben nicht schwindelte, der war mit starken Nerven ausgestattet. Scheinbar litt ganz Wien mit den Betroffenen und ihren Schützlingen, denn gleich drei Zeitungen (Neuigkeits-Welt-Blatt, Neue Freie Presse und Reichspost) beschworen Ende Mai 1918 die Firmung der guten alten Zeit und ihren zeitgenössischen schlechten Ersatz.

Traditionelles Backhendel, Oberskaffee und auch die goldene Uhr konnte man sich gegen Kriegsende nur noch im übertragenen Sinn schenken. Das neue Gebetbuch zierte ein Ersatzleineneinband und der Luftballon musste der Industrie geopfert werden. „Der Ankauf von Lebzeltherzen scheitert[e] an der Herzlosigkeit des Lebzeltschleichhandels.“ (Neue Freie Presse, 26.05.1918) Den Magen verdarb sich die Jugend schließlich nicht an Indianerkrapfen, sondern an Ersatzbäckerei – dafür reichte schon eine recht bescheidene Menge – und am Ringelspiel, dessen Preise moderat geblieben waren. Währenddessen erfreuten sich die Erwachsenen an Dünnbier und Bierersatz.

Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde das Herzstück der Wiener Firmung, die Fiakerfahrt in den Prater. Bereits 1916 wurde im Fremden-Blatt beklagt, dass dieses Erlebnis, der besondere Stolz der Pat_innen, aufgrund der horrenden Preise meist ausfallen und stattdessen die schmucklose Elektrische für die Fahrt in den Prater in Anspruch genommen werden musste. Nur noch die Haute-Volée konnte sich die maiglöckchenverbrämten „Gummiradler“ leisten, kriegsbedingt allerdings ohne Gummiräder, oder die Fuhrwerksbesitzer_innen selbst. Doch sogar für diese gab es Einschränkungen. Denn die Prater-Hauptallee war für Lohnfuhrwerke gesperrt worden: Wegen der dort stattfindenden Wettrennen waren häufig zu wenige Fahrzeuge zur Verfügung gestanden, um beispielsweise Ärzt_innen zu medizinischen Notfällen in der Innenstadt zu bringen.

Alles in allem kam die Firmung 1918 allerdings billiger als im verklärten anno dazumal. Auf das Meiste musste schlicht und einfach verzichtet werden, was die tatsächlichen Kosten erheblich senkte. Wenn die Wiener_innen auch wehmütig an die Prater-Paradefahrten zurückdachten, so waren Godel und Göd der Kriegsjahre wohl dankbar dafür, den herrschenden Mangel nicht auch noch zur Schau stellen zu müssen. Am schlimmsten traf es dabei den gehobenen Mittelstand, der sich anlässlich der Firmung mit seinem eigenen Verschwinden bzw. Absinken als soziale Gruppe auseinandersetzen musste. Dies erklärt wohl auch die journalistische Aufmerksamkeit, die dem Firmthema entgegengebracht wurde.

Was den Firmlingen bis zum Kriegsende blieb, waren die Freuden des Wurstelpraters. Sie waren für (fast) alle erschwinglich und nivellierten die sozialen Unterschiede. Doch eine Praterattraktion war allein denen des Jahres 1916 vorbehalten: die Kriegsausstellung, zu der die Österreichische Land-Zeitung ausdrucksstark einlud: „Für das leichtempfängliche Kindergemüt kann wohl kaum etwas Fesselnderes gedacht werden, als der Schützengraben im Wiener Prater mit seiner Romantik […], die pittoresken Marineschauspiele, das malerische Panorama des brennenden Görz nehmen das Interesse so in Anspruch, dass die Stunden, die im Schützengraben zugebracht werden, wie im Fluge vergehen.“ (Österreichische Land-Zeitung, 08.06.1916)

 

Literaturverzeichnis

NN: Die Firmlinge ohne Fiaker. – In: Fremden-Blatt v. 28.05.1916, S. 9 (http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=fdb|19160528|9|100.0|0).

NN: Der Schützengraben während der Firmwoche. – In: Österreichische Land-Zeitung v. 08.06.1916, S. 2 (http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=olz|19160608|2|100.0|0).

NN: Was heute die Firmung eines Mädchens kostet. – In: Neuigkeits-Welt-Blatt v. 19.05.1918, S. 4 (http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=nwb|
19180519|4|100.0|0)
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Hans Maurer: Getrübtes Firmlingsglück. Die Pfingstwoche des vierten Kriegsjahres. – In: Reichspost v. 25.05.1918, S. 5f (http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=rpt|19180525|5|100.0|0; http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=rpt|19180525|6|100.0|0).

NN: Firmlinge. – In: Neue Freie Presse v. 26.05.1918, S. 9f (http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=nfp|19180526|9|100.0|0; http://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=nfp|19180526|10|100.0|0).