Projekttage in Wien

Projekttage in Wien

Auftakt zu den Projekttagen am Ende des Schuljahres war ein Workshop des Fulbright-Stipendiaten Richard Lambert zur österreichischen Literatur der Moderne.

Anhand eines Close Readings der ersten Seite von Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ wurden Zusammenhänge von Stadt – Moderne – Mobilität besprochen und sprachliche Möglichkeiten von Stadtbeschreibung an diesem Textbeispiel Musils erörtert. Anschließend verfassten die Schüler_innen Kurztexte, wobei das jeweilige Idiom frei wählbar war – z.B. als „naturwissenschaftliche“ Beschreibung, mittels Zeichen oder in einer Fremdsprache.

 

29.6.2015 Archivbesuch in der Wienbibliothek

Im Zentrum des Workshops standen neben Informationen über die  Aufgaben und Sammlungstätigkeit der Wienbibliothek vor allem zwei Aspekte: Die Schüler_innen erhielten erstens eine praktische Einführung in die analoge und digitale Recherche zu Beständen der Wienbibliothek mit Fokus auf ihre Gruppenthemen (Onlinekatalog, Zeitungsindex, Zettelkatalog) durch Monika Bargmann. Zweitens erfolgte eine Einführung in historische Quellenkunde mittels Originalobjekten aus dem Depot der Wienbibliothek, die mit den zu erforschenden Themen und Orten korrespondieren. Anhand Fotografien, Alltagsgegenständen und zunächst rätselhaften Fragmenten führte Gerhard Murauer die Schüler_innen in die praktische historische Quellenanalyse ein. Die Objekte wurden „gelesen“, indem mögliche Fragen an sie gestellt, aus dem Objekt zu gewinnende Informationen überlegt, Adressbücher als zusätzliche Quellen herangezogen, mögliche Erkenntnisinteressen formuliert sowie die Materialität der Objekte besprochen wurden. Der Vortragende Gerhard Murauer legte besonderen Wert auf die Vermittlung dessen, wie Fragen an historische Quellen gestellt werden und wie aus den Antworten historisches Erzählen entstehen kann.  

 

30.6.2015 Das Jahr 1920 in unterschiedlichen Quellen

Der zweite Tag des Workshop-Blocks vertiefte die in der Wienbibliothek erworbenen Kenntnisse und widmete sich der Interpretation historischer Quellen. Inhaltlicher Schwerpunkt war das Jahr 1920, das mittels der Analyse einer illustrierten Zeitschrift, der wöchentlich erscheinenden „Wiener Bilder“ (online unter: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrb&datum=1920&zoom=33), und des Filmfragments „Wien 1920“ (online unter: http://stadtfilm-wien.at/film/26/), das vermutlich im Auftrag der französischen Sociéte Kahn entstanden ist, erforscht wurde. In kleinen Gruppen wurden in Form eines Close Readings der „Wiener Bilder“ die Folgen des Kriegs in ihren verschiedensten Ausformungen, die Veränderungen in der Stadt, in Gesellschaft und Politik erarbeitet. Die Analyse des Filmdokuments erfolgte mit Bezug auf die dargestellten Orte und hier stattfindenden Aktivitäten. Verknüpft mit der inhaltlichen Analyse war die Untersuchung von Gestaltung und Aufbau (Bildsprache, Rubriken und Struktur, Layout usw.) der beiden Quellen. Eine Diskussion über die erhaltenen Informationen und deren Einschätzbarkeit bzw. Quellenwert, Überlegungen zu möglichen Adressat_innen und herauslesbaren politischen Ausrichtungen sowie zu den Spezifitäten und Unterschieden zwischen Text- bzw. Zeitschriften- und Filmquelle beschlossen die Quellenanalyse.

 

1.7.1015 Individuelle Spuren durch die Stadt

Kartografie, individuelle Wahrnehmung der Stadt, das Image sowie positive und negative Assoziationen zu einzelnen Orten Wiens standen am Beginn des letzten Workshop-Tages. Angeleitet vom Geografielehrer der Klasse zeichneten die Schüler_innen ihre jeweiligen Wohlfühl- und Angstorte auf dem Wiener Stadtplan ein und besprachen Häufungen wie mögliche Ursachen – Medienberichte, eigene Erfahrungen, historische Zuschreibungen usw. – für ihre subjektiven Perzeptionen. Erkennbar wurde, dass die Stadt aus einander überlagernden, widersprechenden, individuellen, von Politik, Gesellschaft, den Nutzer_innen usw. konstruierten Räumen besteht und nicht EIN Raum ist, der für alle gleich erfahren wird, bzw. dass das jeweils Bekannte (das eigene Grätzel, Konsumräume) meist positiv besetzt wird, während andere Orte als fremd oder gefährlich gelten.

Zufällige, spontane Bewegungen durch die Stadt und die Bedeutung individueller Praktiken wurden im zweiten Teil des Workshops in kurzen Stadtwanderungen thematisiert. Ausgangspunkt war die Urania als Schnittstelle zwischen Innerer Stadt mit ihren touristischen Landmarks, dem Donaukanal als wichtigem Freizeitort und der Leopoldstadt. Insgesamt wurden je Gruppe etwa fünf Passant_innen nach einem für sie bemerkenswerten, wichtigen Ort/Bauwerk in der Umgebung befragt. Daraufhin wurde der Ort besucht, von diesem ein Objekt mitgenommen und die sich aus den Direktiven der befragten Stadtnutzer_innen ergebende Route auf einem Stadtplan händisch eingezeichnet. Die Schüler_innen berichteten von den eingeholten Begründungen für die Wahl des jeweiligen Ortes/Bauwerks und kommentierten diese.

In den abschließenden Kurzpräsentationen wurden Fragen nach dem Einfluss individueller Perzeption und Interessen auf die Stadtnutzung sowie persönliche Praktiken der Orientierung in der Stadt besprochen. Mit Bezugnahme auf Kevin Lynch („Das Bild der Stadt“ über die visuelle Ordnung der Stadt und Praktiken der Orientierung darin) wurde diskutiert, inwieweit Wahrnehmung und Nutzung der Stadt durch persönliche Wege, Motivationen usw. geprägt sind und inwieweit die Gestaltung der Stadt sowie „vorgegebene“ Wege uns beeinflussen.

Im Herbst wird an diese spontan generierten, individuellen Wege und den Aspekt der Darstellbarkeit des Stadtraums (Kartografie) angeknüpft: Einerseits erfolgt im Geografieunterricht eine mit einer Fotodokumentation angereicherte Digitalisierung und Dokumentation der Routen auf Google Earth. Andererseits wird mittels einer Analyse historischer Stadtpläne und historischer Reiseführer im Geschichtsunterricht – mit Schwerpunkt auf die Gegend um Schwedenplatz und Donaukanal – eine Verbindung zum Untersuchungszeitraum 1916 bis 1921 gezogen. Dabei sollen ausgehend vom aktuellen Wissen und den individuellen Praktiken der Stadtnutzung der Jugendlichen historische Perspektiven und Wahrnehmungen diskutiert werden.