Versorgung

Die Geschichte Wiens in der Zeit des Ersten Weltkriegs und der ersten Jahre danach ist auch eine Geschichte des Hungers: Schon bald nach Kriegsbeginn wurden Mehl und Fleisch, Kartoffel und Futtermehl, aber auch Kohle knapp. Ab dem zweiten Kriegsjahr stellten sich täglich Hunderttausende unter entsetzlichen Bedingungen an, um ihre Ration Brot zu bekommen, ein Stückchen Fleisch oder ein paar Eier zu erobern, darunter viele Kinder und Jugendliche, die oft stundenlang lang statt ihrer Eltern anstehen mussten.

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Preistreiberei und Schleichhandel blühten, Stadt und Regierung versuchten – auch um drohende Aufstände zu verhindern – die Sozialpolitik zu verbessern und die Versorgung durch Ausgabe von Karten für Brot, Kohle, Petroleum, Kartoffeln etc. besser zu organisieren. Unter- und Mangelernährung waren vor allem bei den ärmeren Schichten gegen Kriegsende weit verbreitet. Alles wurde genutzt, um die eigene Ernährungslage zu verbessern: Wer etwa einen Schrebergarten hatte, baute Gemüse oder züchtete Kaninchen. Daneben häuften sich Versuche, auch illegal an Nahrungsmittel zu kommen: Zeitungen und die Stimmungsberichte der k.k. Polizeidirektion berichten ab 1916 vermehrt über Überfälle auf Lebensmittellieferungen und Diebstähle auf Märkten.

In den letzten Monaten der Monarchie brach die Versorgung endgültig zusammen. Bereits Anfang Oktober 1918 war klar, dass weder Mehl noch Brot noch andere Nahrungsmittel bis zum Ende des Monats reichen würden. Die desaströse Versorgungslage erhöhte die Streik- und Revolutionsbereitschaft (Bereits im Jänner 1918 waren etwa 700.000 Arbeiter_innen gegen die schlechte Versorgung und für einen sofortigen Friedensschluss in Streik getreten.)

Nach dem Zerfall der Monarchie erschwerten wiederum die neuen Staats- und Zollgrenzen zur Tschechoslowakei und Ungarn die Lebensmittel- und Brennstofflieferungen, aber auch innerhalb Österreichs gab es kaum Lebensmittellieferungen über die Bundesländergrenzen hinweg. In Wien drohte deshalb nach dem „Hungerwinter 1916/17“ in den Wintern 1918/19 und 1919/20 eine noch größere Hungerkatastrophe, die nur durch Lieferungen der Alliierten verhindert werden konnte. Die neue sozialdemokratische Stadtregierung versuchte mit verschiedenen Hilfsmaßnahmen gegenzusteuern, etwa durch die kostenlose Schuljause, weil viele Kinder aus ärmeren Familien zuhause nicht genug zu essen bekamen. Erst ab 1921/22 normalisierte sich die Lebensmittelversorgung.